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Die
Idee, ein Schuljubiläum mit einer Revue zu illustrieren, ist nicht
neu: In den letzten Jahren haben schon mehrere hannoversche Schulen ihr
Fest mit einer Revue umrahmt, und auch die Aufführung von Musicals
nimmt immer mehr zu. Sicher hängt es damit zusammen, dass inzwischen
der pädagogische Wert solcher Veranstaltungen deutlicher erkannt wurde
und man fächerübergreifende Projekte auch seitens der Schulleitung
und der Behörden mehr unterstützt. Als an unserer Schule das
erste Projekt dieser Art im Jahre 1983/84 in Angriff genommen wurde, war
es noch „Neuland“ in der hannoverschen Schulszene, und unser Versuch wurde
damals auch gleich mit einem Auftritt im Ballhof belohnt.
Alles
begann damit, dass ein Kollege von der hiesigen Musikhochschule, Herr Professor
Hempel, mir ein gemeinsames Projekt in Zusammenarbeit zwischen Schülern
und Studenten vorschlug. Ich hatte damals meinen ersten LK Musik und war
sofort von der Idee begeistert. Die Studentengruppe entwickelte zunächst
eine Handlungsidee: Das Märchen der Gebrüder Grimm „Hans im Glück“
sollte einer modernen Version – nach dem Buch „Märchen-Verwirrbuch“
von Irving Fetcher – gegenübergestellt werden. In der letzten Szene
(„Der Aufstieg in die Chefetage“) stellt ein choralartiges Schlusslied
das glückliche Ende der neuen Fassung in Frage: „Your gold and silver
is covered with rust“. „Materialverlust = Glücksgewinn?“ (im alten
Märchen) kehrt sich um in „Materialgewinn = Glücksverlust?“
Die
Ausarbeitung der einzelnen Szenen und die Komposition der Musik erfolgte
dann in gemeinsamen Arbeitsgruppen von Studenten und Leistungskursschülern.
Auch alle weiteren Vorbereitungen (Bühnenbild, Kostüme etc.)
wurden ausschließ-lich von den 34 Teilnehmern des Projektes getroffen.
Das musikalische Ergebnis war bunt gemischt: Es ging von einfachen Bearbeitungen
(z.B. von „Der Vogelsänger bin ich ja...“ aus der „Zauberflöte“
von Mozart) bis zu Eigenkomposi-tionen in den unterschiedlichsten Stilrichtungen
(Rap, Rock, Sprechstücke). Die Vielfalt von eher konventionellen bis
zu ganz neuartigen Formen fügte sich nicht immer gut zusammen, sie
machte aber auch den Reiz des Stückes aus.
Da
die Anzahl der Mitwirkenden überschaubar war, fühlte sich jeder
Einzelne für das Gelingen der Produktion verantwortlich. Die Zusammenarbeit
war so eng, dass Freundschaften entstanden (manche Zweierbeziehung überdauerte
das Abitur), und es wurden auch Weichen für die berufliche Zukunft
einiger Sophienschülerinnen gestellt.
Das
gute Gelingen unseres ersten gemeinsamen Projektes ermutigte Herrn Hempel
und mich, trotz des damit verbundenen Stress’ einen erneuten Versuch mit
meinem nächsten Musik-LK zu wagen (1988). Dieses Mal sollte die Geschichte
eines alten Ehepaares (Adele und Wilhelm) dargestellt werden. Als Rahmenhandlung
war die Feier der Goldenen Hochzeit vorgesehen, anlässlich derer die
beiden Brautleute ihr Leben noch einmal an sich vorbeiziehen lassen. Handlungsidee,
Text und Musik waren wieder von Schülern und Studenten in Teamwork
erarbeitet worden, aber leider schafften wir dieses Mal keine Aufführung
vor Publikum, weil uns die organisatorischen Probleme über den Kopf
wuchsen: Wir hatten keine gemeinsame Doppelstunde bekommen, und es zeigte
sich, dass das Projekt zu umfangreich war, um es innerhalb eines bestimmten
Zeitraums auf der Bühne zu realisieren. Letztendlich gingen die Kraft
und der Einsatzwille im Strudel des Abiturs unter.
Nach
diesem gescheiterten Unternehmen wurde uns erst deutlich, wie glücklich
unser erstes Projekt verlaufen war, und wir zogen daraus Konsequenzen für
weitere Vorhaben:
– Gemeinsame
Arbeitsphasen müssen gesichert sein (entweder als regelmäßige
Stunden oder als Kompaktphasen z.B. im Landheim).
– Die
kreative Arbeit sollte für die Schüler und die Studenten begrenzt
werden, d.h.
man sollte z.B. entweder von einer bereits existierenden Textvorlage ausgehend
Musik komponieren, oder aber man könnte auch bereits vorhandene Musik
bearbeiten und/oder mit neuen Texten versehen (wie es z.B. Herr Bergmeier
mit
seinem Musik-LK 1988 in der Offenbachiade „Romeo und Julia“ gemacht hat).
– Bei
umfangreichen Projekten müsste stärker arbeitsteilig vorgegangen
werden.
Die Plenumssitzungen, bei denen alles gemeinsam diskutiert wurde, kosteten
viel Zeit und Kraft und waren häufig unergiebig.
Als
mein dritter Musik-LK im 12. Jahrgang war, war ich bereit, „in eine neue
Runde einzusteigen“ (1990). Da es sich um ein schulinternes Projekt handelte,
erschien es mir organisatorisch leichter durchführbar, da zumindest
alle Beteiligten „greifbar“ waren und man nicht noch zusätzlich die
Interessen und Termine der Musikhochschule berücksichtigen musste.
Die Idee war außerordentlich interessant: Zum Jubiläum der Sophienschule
sollte eine Revue 90 Jahre Schulgeschichte in unterhaltsamer Weise mit
Zeitgeschehen verknüpfen, und es sollten möglichst viele Schülerinnen
und Schüler beteiligt sein: der Abiturjahrgang 91, beide Chöre
und das Orchester. Die musikalische „Kerngruppe“ bildete der Musik-LK.
Das Grundkonzept wurde von einer Gruppe von Lehrern verschiedener Fachbereiche
entwickelt (Deutsch, Geschichte, Kunst, Musik...), und es entstand in Zusammenarbeit
mit dem Abiturjahrgang eine gemischte Folge aus Musik, Gedichten, Prosatexten,
Sketchen, Tanz, so dass die 90 Jahre dem Publikum exemplarisch durch charakteristische
Einzelbeiträge veranschaulicht werden konnten. Zur Verknüpfung
der teilweise sehr unterschiedlichen Szenen führte eine Rahmenhandlung
(Gespräche zwischen der Kurfürstin Sophie und Leibniz) durch
die einzelnen Zeitabschnitte.
Viele
musikalische Nummern wurden während der üblichen Chorprobenzeit
einstudiert, und die einzelnen Szenen wurden arbeitsteilig in Gruppen erarbeitet.
Eine Arbeitstagung im Landheim wurde eingeplant, und das Projekt machte
gute Fortschritte. Die letzte Phase gestaltete sich dann aber doch sehr
schwierig: Durch die vielen unterschiedlichen Arbeitsgruppen war es sehr
kompliziert, einen Gesamtüberblick zu bekommen, und es war schlechthin
unmöglich, Durchlaufproben für alle effektiv und befriedigend
zu organisieren, weil immer wieder wichtige Darsteller fehlten und damit
der gesamte Plan ins Wanken geriet. Bis zuletzt hatte niemand das Stück
je komplett gesehen, und es machte große Schwierigkeiten, ein Gesamtskript
zusammenzustellen. Mit großem persönlichen Einsatz vieler Schüler
und einiger Lehrer haben wir dann doch noch mehrere gute Aufführungen
auf die Bühne bringen können.
Die
Tatsache, dass wir im Mai 94 wieder ein neues Projekt, nämlich das
Musical 2094, aufgeführt haben, zeigt, dass ich trotz vieler Probleme
die Durchführung solcher Projekte für sehr sinnvoll halte. Die
Handlung des Musicals ging auf eine Idee des Deutsch-LKs von Herrn Dr.
Czapek zum Thema „Literatur der Aufklärung“ zurück und stellte
in unterhaltsamer, aber auch nachdenklicher Weise eine Situation im Jahre
2094 dar, die eine Umkehr der Verhältnisse unserer Zeit bedeutet:
Aufgrund wirtschaftlichen Niederganges sind junge Deutsche gezwungen, im
reichen Land Utopistan als Gastarbeiter zu leben. Die komplikationsreiche
Liebe zwischen einem deutschen Gastarbeiter zu einer feinen jungen Dame
aus der Oberschicht Utopistans ist Gegenstand des Stückes. Im großen
Finale werden folgende Fragen aufgeworfen:
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„Wie
soll eine Welt aussehen, in der das Glück so wenig zählt?
Jeder
wollte nur das Beste, jeder hat das Ziel verfehlt.
Wessen
Zukunft ist die Zukunft, wessen Welt die eine Welt?
Wessen
Glück ist auch das eure, welche Welt die eine Welt?
Alles
das, was hier geschehen, könnte es auch heute sein?
Alles,
was ihr hier gesehen, soll das unsre Zukunft sein?“ |
In
Zusammenarbeit zwischen Schülergruppen der Sophienschule einerseits
und Studenten der Musikhochschule, mehreren Lehrern und Herrn Professor
Hempel (der die Musik komponierte) andererseits gelangen uns drei bejubelte
Aufführungen in der Schule und als „Bonbon“ eine weitere Aufführung
in der Musikhochschule.
Als
besondere Würdigung erhielten wir den 3. Preis im Wettbewerb um den
„Schülerfriedenspreis 1994“ von der Niedersächsischen Landesregierung.
Bei
unserem aktuellen Projekt zur Feier des 100-jährigen Jubiläums
der Schule setzen wir selbstverständlich auch an den gefundenen Maximen
an: Damit die kreative Arbeit in einem begrenzten Rahmen stattfinden kann,
nehmen wir die Revue 90 wieder auf und überarbeiten sie. Außerdem
sollen neue Szenen zu den letzten 10 Jahren ergänzt werden. Die Theater-AG
unter der Leitung von Herrn Dr. Czapek hat diese Aufgabe als Kerngruppe
übernommen, und natürlich werden auch wieder die Chöre und
das Orchester mitwirken. Bei der Vorbereitung aller weiteren Faktoren (Bühnenbild,
Kostüme, Technik usw.) engagieren sich mehrere Kollegen, aber auch
Eltern und Schülerinnen und Schüler, und ich hoffe, dass auch
dieses Mal ein für alle Beteiligten befriedigendes Resultat am Ende
stehen wird.
Ich
persönlich werde mich jedenfalls immer wieder dafür einsetzen,
dass trotz aller schulorganisatorischen Probleme fächerübergreifende
Projekte dieser Art durchgeführt werden, weil ich von ihrer großen
Bedeutung für die Schülerinnen und Schüler überzeugt
bin:
Musikalisch-szenische
Projekte können meiner Ansicht nach allen Beteiligten viele neue Erfahrungen
bringen. Man erlebt z.B., welche Aufgaben bei einer Bühnenproduktion
zu leisten sind, in welchen Schritten sie abläuft und welche Disziplin
auf der Bühne und bei den Proben benötigt wird. Außerdem
arbeitet man mit Menschen anderer Altersgruppen und Interessen zusammen
und kommt durch diese Kooperation zu einem befriedigenderen Ergebnis als
in Einzelarbeit. Jeder kann intensiv in seinem ausgewählten Bereich
arbeiten (egal, ob es sich dabei um eine Musikdarbietung, um die Bereitstellung
der Requisiten oder z.B. um die Bühnenbeleuchtung handelt) und sich
in seinem Rahmen um Perfektion bemühen. Dabei kann man Fähigkeiten
zeigen, die im normalen Unterrichtsalltag meistens nicht zutage treten.
Und schließlich: Das gefühlsmäßige Erlebnis bei den
Aufführungen ist für alle – auch für mich – jedes Mal wieder
überwältigend und bleibt sicher für alle Beteiligten als
besonderes Schlaglicht aus der Schulzeit in Erinnerung.
Margrit
Ovesiek
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