RUDERWANDERFAHRT 
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Ruderwanderfahrt auf der Mecklenburgischen Seenplatte 1999
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Tradition ist ein beliebtes Wort an der Sophienschule. Wer will, kann dabei an Festgefahrensein, an unreflektiertes Übernehmen althergebrachter Bräuche nur um der guten, alten Zeit willen denken. Aber man kann auch an Ruderwander-fahrten denken, als ein Ereignis, auf das man sich regelmäßig freuen kann, und eine der attraktiveren Konstanten an unserer Schule.

Jedes Jahr aufs Neue werden viele Schüler und einige Lehrer in drei, vier fahrbare Untersätze gezwängt und für eine wunderbare (weil schulfreie) Woche den Unwäg-barkeiten der Wildnis ausgesetzt. Dieses Jahr ging es nicht zum ersten Mal in Richtung Mecklenburgische Seenplatte, obwohl die Alteingesessenen noch mit Schrecken in den Augen von der Havarie eines Ruderbootes vor einigen Jahren zu berichten wussten ...

Und auch diesmal sollte es abenteuerlich werden, für die Besatzung von Herrn Reinholds Wagen allerdings schon früher als erwartet/befürchtet: „Der Tacho funktioniert nicht. Aber das macht nichts, ich fahre sowieso immer nach Gehör.“ 
Schlotternd entstieg man, endlich am Zielort angekommen, dem Gefährt, den 
Boden küssend und der Höllenfahrt über instandsetzungsbedürftige Autobahnen gedenkend.

Wesenberg, die Metropole am Woblitzsee, war also Ausgangspunkt unserer wagemutigen Unternehmung, allerdings erst am nächsten Morgen; erstmal wurden mehr oder weniger professionell die Zelte aufgebaut und die Boote seetüchtig gemacht. Der Rest des Tages wurde mit Fußballspielen, Schwitzen, Rumsitzen und einem Lagerfeuer verbracht. Nach solch einem Tag freut man sich normalerweise auf eine Matratze, eine Decke und ein bequemes Bett. Haha. Isomatte und Schlafsack sind an und für sich nicht das, was man nach harter Arbeit (oder hartem Spaß) gebrauchen kann, aber zusätzlich waren in so ziemlich jedes Zelt Heerscharen von kleinen, nervigen und blutrünstigen Viechern gekrabbelt, geflogen, geschleimt oder gekrochen. Manch einer wurde die komplette Nacht von einem leisen aber nervenzerfetzenden Summen wach gehalten, während jene, die gnädigerweise ohne größere Komplikationen eingeschlummert waren, am nächsten Morgen unübersehbare Spuren der nächtlichen Insekteninvasion entdeckten. Arme, Beine und Hände waren übersät mit rundlichen und geröteten Wölbungen. Die Eingeborenen hielten uns für eine Delegation der anonymen Allergiker.

Die Abfahrt und der Juckreiz verschwanden schließlich im Dunst des kleinen Labus-sees, begleitet vom monotonen Platschen der Ruder und dem Gezanke der Steuermänner, wer jetzt das Kommando habe. Entlang sonderbarer Ortschaften mit noch viel sonderbareren Namen ruderten wir nun in Richtung Kolonie Großzerlang. Das „Groß“ ist blanker Hohn, es wäre bestimmt interessant, die Einwohnerzahl von Kleinzerlang herauszufinden. Aber die ohnehin gute Stimmung unserer Gruppe erreichte neue Höhen, als wir die Getränkepreise im Restaurant der Kolonisten sahen. Ein schöner Abend, ohne lästiges Getier, dafür mit viel Gelächter und einem späten Spaziergang mit romantisch waberndem Nebel und in der Ferne bellenden Hunden.

So schön wie der Abend geendet hatte, so sonnig begann der nächste Tag, der uns nach Mirow bringen sollte und dies auch tat. Von der für uns natürlich läppischen Distanz von 25 km nicht besonders geschlaucht, wurde die Stadt erstmal erfolgreich auf Zeichen moderner Zivilisation (Supermärkte, Apotheken etc.) erkundet. Es gab sogar eine „Sophienschule“! Leidensgenossen! Unseren Zeltplatz hinter einem Bootshaus (mit Duschen!!!) mussten wir allerdings mit ein paar Nürnbergern teilen. Aber zum Glück kann man sich ja auf den Steg zurückziehen, weshalb sich dann etwa ein Dutzend Leute auf zwei Isomatten drängelten und versuchten, weder ins Wasser zu fallen noch jemanden zu strangulieren. Die verdiente Nachtruhe wurde nur durch markerschütternde Schreie gestört, deren Ursprung am nächsten Morgen nicht mehr geklärt werden konnte.

Frohen Mutes begann also die Fahrt nach Flecken Zechlin, durch Gewässer mit Namen wie Zotzensee und Mössensee, die einige dreckige Lacher provozierten. Jaja, wir sind die geistige Elite. Trotzdem schafften wir es auch heute wieder, ohne großartige Verluste in den Zielhafen einzulaufen. Ein ebenso provinzielles wie geruhsames Fleckchen (höhö) Erde begrüßte uns mit freundlichem Sonnenschein, was sich jedoch noch ändern sollte. Gegen Abend zogen düstere Wolken auf, und wer noch wach war, konnte ein wirklich beeindruckendes Gewitter bestaunen.

Auch am nächsten Morgen war das Wetter nicht besonders freundlich, manch einer hoffte sogar darauf, dass wir einen Tag früher als geplant die Heimreise antreten würden. Aber wer ein echter Ruderer ist, den schreckt das nicht. Allerdings wird ja manchmal Wagemut mit Wahnsinn verwechselt, also war nicht klar, ob die Schreie, die beim Ablegen ertönten, eine Herausforderung an die Naturgewalten oder die Äußerungen psychischer Probleme waren.

Diese letzte Etappe entpuppte sich dann auch als sehr strapaziös, weil die Wellen so hoch waren, dass manche Boote nur mit Glück Rheinsberg erreichten. Aber die Aussicht auf das örtliche Schloss (Kultur! Endlich!) entschädigte für einige der Unannehmlichkeiten. Doch das Schlimmste hatten wir noch vor uns. Geschlaucht und müde mussten wir noch die Boote verladen. Dies ist der Augenblick, der das genauso unausweichliche wie anstrengende Ende einer Ruderwanderfahrt symbolisiert – außer für die bedauernswerten Gruppenmitglieder, die der Tradition entsprechend vor der Heimkehr noch die Boote am Maschsee abliefern mussten. Ja, im Laufe einer Woche kommt man sich näher, und die althergebrachten Rollengrenzen verschwimmen wie das Wasser zwischen dem Kleinen und Großen Pälitzsee oder wie die Bierlachen in ländlichen Kneipen.

Robert Lüddecke

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