SCHÜLERAUSTAUSCHFAHRTEN NACH ISRAEL 
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Schüleraustauschfahrten nach Israel
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Seit 1989 fahren Schülerinnen und Schüler der Sophienschule und der Tellkampf-schule jedes zweite Jahr nach mehreren außerschulischen Vorbereitungstreffen nach Israel; ausgespart wurde nur das Jahr des Golfkrieges.
Frau Vismann, eine ehemalige Kollegin der Tellkampfschule, die diesen Austausch zusammen mit Herrn Denecke von der Sophienschule ins Leben gerufen hat, hat ihn unter zwei Leitmotive gestellt, ein Zitat von Ben Chorin und eine alte buddhistische Parabel, die ich hier wiedergeben möchte, wie ich sie in den Reisetagebüchern fand:
 
 
Mauern – Schalom Ben-Chorin

Man weiß zu wenig voneinander. Jeder lebt in seinem Getto. Mauern, Klage-mauern, Verleumdungsmauern schließen die Menschen ein. Was wissen die Juden vom Christentum, die Christen vom Judentum und beide vom Islam?

(Ben Chorin, Ich lebe in Jerusalem)
Buddhas Gleichnis vom Elefanten

Ein König ruft Blindgeborene zusammen und stellt sie um einen Elefanten. Jeden der Blinden lässt er einen Körperteil des Elefanten anfassen. Danach fragt er sie, was ein Elefant sei.
Die den Kopf des Elefanten betastet haben, sagen: „Ein Elefant ist wie ein Topf, ein großer Kessel.“ Die die Ohren befühlt haben, sprechen: „Wie ein Tuch ist der Elefant.“ Die die Stoßzähne berührt haben, sagen: „Der Elefant ist gleich einer Pflugschar.“ Und die den Fuß betastet haben: „Der Elefant ist ein Pfosten.“

Und so geht es fort und endet in Geschrei: „So ist ein Elefant!“ – „Nein, so nicht, sondern so!“ Schließlich gehen sie mit Fäusten aufeinander los. – Jeder der Blinden hat tatsächlich Berührung mit der Wirklichkeit; jeder hat Anteil an der Wahrheit.

Von Anfang an war also nicht an irgendeine Art ‚Schüler-Tourismus‘ gedacht, sondern an eine äußerst anspruchsvolle Studienfahrt, bei der Schülerinnen und Schüler Gelegenheit erhalten sollten, sich mit der Historie und Archäologie des Landes, den in Israel beheimateten Religionen und vor allem den aktuellen politischen Konflikten auseinander zu setzen. Ein Glücksfall war, dass Frau Vismann viele persönliche Kontakte zu Juden und Christen in Israel für den Austausch nutzen konnte, die uns bis heute sehr wichtig sind, und dass sich parallel dazu die High School Sakhnin in Galiläa über das ökumenische Begegnungszentrum in Bückeburg um einen deutschen Austauschpartner bemühte. Das Außergewöhnliche an unseren Israelfahrten ist seitdem die Kombination verschiedener Reiseziele mit unterschiedlichen Schwerpunkten.

In der jeweils ersten Woche leben wir in arabischen Familien in Sakhnin. Sakhnin ist eine Kleinstadt in den Bergen Galiläas mit einer gemischt moslemischen (90%) und christlichen (10%) Bevölkerung, nicht weit entfernt von den größeren Städten Akko und Haifa. Die Infrastruktur ist aufgrund der Benachteiligung der arabischen Orte durch den Staat Israel ziemlich schlecht. Umso stolzer ist Sakhnin auf seine 1969 gegründete Oberschule, an der ca. 1500 Schüler und Schülerinnen der Jahrgänge 9-12 unterrichtet werden; ihr Abschluss ist in der Regel das Abitur.

In Sakhnin gewinnen wir nicht nur Einblick in arabische Lebensgewohnheiten und das Schulwesen, führen nicht nur heftige Debatten über die problematische Situation der Araber in Israel, genießen dort nicht nur – von Herzen dankbar – eine großartige Gastfreundschaft vor Ort. Wir bekommen obendrein von unserer Partnerschule einen Bus gestellt, der uns zahlreiche Exkursionen zu unterschiedlichen Zielen in Galiläa ermöglicht. Unsere Fahrten führen uns z.B. nach Nazareth, an den See Genezareth, zu den Ruinen von Bet She’an, an den Jordan, nach Safed, ein früheres Zentrum jüdischer Mystik, nach Caesarea Philippi, auf die Golanhöhenund nach Akko, wo es eine wunderschöne Moschee zu besichtigen gibt. Sich von Sakhnin zu trennen, ist bisher allen Gruppen sehr schwer gefallen; fast immer flossen zum Abschied Tränen.

In der zweiten Woche wohnen wir in einem Hotel in Jerusalem. Diese Stadt ohne intensive Gefühle zu erkunden, ist kaum möglich: auch hier Jahrtausende bei jedem Schritt und Blick, zugleich quirlige Vitalität; allgegenwärtige Präsenz der ungleichen ‚Nachkommen Abrahams‘, des Judentums, Christentums, Islams; eine Vielfalt ethnischer Gruppen, deren Kleidung und erkennbare Gebräuche das breite Spektrum ihrer unterschiedlichen Lebensauffassungen verdeutlichen. Wir wissen und hören täg-lich: Auch mögliche Feinde leben hier brisant nah beieinander, auf Versöhnung ange-wiesen und doch oft nicht bereit dazu. Aber wir haben kein Recht zu moralisieren: Fast schockartig trifft uns die Erinnerung an deutsche Schuld spätestens beim Besuch der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem; Scham und tiefe Trauer brechen auf.

Strahlend blauer Himmel, vergnügt hektisches Treiben, Vorsichtsmaßnahmen wegen eventuell drohender Attentate, freundschaftliche Erinnerungen an Sakhnin, beschämtes Gedenken – die Fülle des Erlebten ist kaum zu bewältigen.

Wir brauchen hilfreiche Gespräche, um Kopf und Herz für den nächsten Tag frei zu bekommen. Zum Glück gibt es viele sehr liebenswerte Menschen, die unsere Fragen gerne beantworten, so z.B. die jeweiligen Reisebegleiter, die uns durch das Programm der zweiten Woche führen, ebenso Juden in Jerusalem, zu denen Kontakt aus vorausgehenden Jahren besteht oder neu hergestellt werden konnte, Exiljuden aus Hannover und neuerdings auch Lehrer und Schüler eines Gymnasiums in Tel Aviv, Christen der Auguste Victoria Stiftung und christliche Palästinenser in Beit Jala. Allerdings sind die Wahrheiten unserer jetzigen Gesprächspartner von anderen Erfahrungen geprägt als die unserer arabischen Freunde, sodass sich die Verwirrung nicht in Wohlgefallen auflöst. Die Spannung muss ausgehalten werden, von den dort Lebenden seit der Gründung des Staates Israel, von uns vorübergehend. Das ist die schmerzhafte Erkenntnis, die auch nach den Diskussionen mit Journalisten verschiedener Zeitungen bleibt, die dankenswerterweise in all den Jahren unseren Schülergruppen Erklärungsansätze geboten haben.

Als wäre das alles nicht genug, gibt es natürlich auch von Jerusalem aus äußerst interessante Exkursionen, u.a. nach Jericho, Qumran, Massada, ans Tote Meer, nach Bethlehem, Tel Aviv. Aber die haben trotz mancher Anstrengung doch eher traditionellen Bildungs- und Freizeitcharakter.

Was bleibt, sind deshalb neben landeskundlichem Wissen, widersprüchlichen Ein-drücken, starker Erregung, faszinierenden Bildern vor allem viele FRAGEN und intensive Erinnerungen an lieb gewonnene Menschen, denen wir von Herzen FRIEDEN wünschen.

Ein Austausch wäre recht einseitig ohne Gegenbesuch, und so kommen unsere früheren Gastgeber in den jeweils zwischen unseren Israelfahrten liegenden Jahren nach Hannover. Eine Woche wohnen sie bei ihren ehemaligen Gästen; anschließend sind sie von der evangelischen Gemeinde in Wettbergen eingeladen.

Aufregung und Vorfreude sind meistens sehr groß. Am Programm wird lange gebastelt. Eltern werden über Essgewohnheiten und andere kulturbedingte Besonderheiten unserer Gäste genauestens informiert. Aber wirklich vorhersehbar ist der Verlauf dieser Woche nicht. Je nach Zusammensetzung der Lehrer- und Schülergruppe haben sich Freundschaften erneuert und vertieft, so dass sie zu weiteren Besuchen auch nach dem Abitur führten; sie wurden jedoch auch schon auf mehr oder minder harte Bewährungsproben gestellt.

Natürlich gibt es immer viel Interessantes für unsere Gäste zu sehen. Hannover hat einiges zu bieten, auch Hamburg und Celle sind eingeplant. Einführungen in unser Schulwesen und politische Vorträge mit anschließender Diskussion gehören zum Rahmenprogramm. Bei all dem kommt das Vergnügen sicher nicht zu kurz.

Aus unserer Sicht gehört jedoch auch ein gemeinsamer Besuch der Gedenkstätte Bergen Belsen dazu, u.a. in der Hoffnung, dass unsere arabischen Gäste danach unser Verhältnis zu Juden, auch zum Staat Israel, besser nachvollziehen können. Hier brechen jedoch fast immer Spannungen auf, weil die meisten israelischen Araber sich – durchaus nachvollziehbar – als ‚Bürger zweiter Klasse‘ im ‚eigenen Land‘ erleben, solidarisch mit den Palästinensern in den besetzten Gebieten. Sie hätten uns lieber eindeutig parteinehmend auf ihrer Seite und wünschen daher einen Wechsel unserer Blickrichtung von ‚unserer Vergangenheit‘ auf ‚ihre Gegenwart‘, eine Alternative, die sich uns so nicht stellt.

Weitere Hürden, die zu nehmen sind, ergeben sich aus der Tatsache, dass die Mehrzahl unserer Gäste noch nie im Ausland war bzw. überhaupt noch keine weiten Reisen unternommen hat und Studienfahrten nach unserem Muster kaum kennt. Die Fahrt nach Deutschland ist für sie daher mit so vielen unterschiedlichen Erwartungen und Ängsten verbunden, dass den gastgebenden Familien die daraus resultierenden Verhaltensweisen nicht immer nachvollziehbar sind.

Trotzdem bleibt auch dieser Gegenbesuch für uns ein unverzichtbarer Bestandteil der Israelfahrten. Denn nur durch ein nicht nachlassendes Bemühen um eine gemeinsame Überwindung von Ängsten und Missverständnissen über Kulturgrenzen hinweg und den Austausch der jeweiligen Wahrheiten wird Verständigung möglich. Diese Erfahrung brauchen nicht nur unsere arabischen Freunde, sondern auch wir.

Anm.: Wer sich unser Programm von 1998/99 mit Fotos, Schülerkommentaren, Auszügen aus unseren Reisetagebüchern, Lektüre-Empfehlungen, Rezepten etc. genauer anschauen möchte, kann dies auf der Internetseite der Sophienschule unter „Projekte   Israel“ oder direkt auf der Seite http://home.t-online.de/home/renate.brombacher

Renate Brombacher

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Stellvertretend für viele interessante Begegnungen ein paar Grüße aus unseren Reisetagebüchern:


.© 2002 Sophienschule Hannover