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Seit
1960 steht die Sophienschule mit der St. Theresa’s Gins High School in
Bettiah, in Nord-Bihar gelegen, in freundschaftlicher Verbindung. Es ist
in den vergangenen Jahren darüber kurz berichtet worden. Diesmal möchten
wir Ihnen durch Auszüge aus Briefen der Schulleiterin Schwester Sigrid
Voggel einen genaueren Einblick geben.
„Als
Schwester Oberin vor 42 Jahren die Schule in Bettiah anfing, wollte niemand
die Mädchen schicken. Für Jahre mußte sie täglich
von Haus zu Haus gehen und die Kinder persönlich abholen, sonst wären
sie nicht gekommen. Daß Mädchen eine Schulbildung haben sollten,
leuchtete den Leuten nicht ein. Als sie nach dem großen Erdbeben
1934 die jetzige Schule aufbaute, sprach man in der Stadt herum, daß
sie ihren Verstand verloren habe. Niemals würden so viele Mädchen
in die Schule gehen. Sie jedoch hielt zäh an der Auffassung fest,
daß ohne Erziehung der Frau in keiner Hinsicht ein wesentlicher Fortschritt
gemacht werden könne. Sie hat es noch erleben dürfen, daß
ihr Werk zu der bedeutendsten Mädchenerziehungsanstalt Nordbihars
heranwuchs.“
Juli
1960
„Unser
diesjähriges Maturaergebnis war recht befriedigend. Wir hatten 30
zur Prüfung geschickt. Die hiesige Matura ist etwas niedriger als
daheim. Acht bestanden mit Durchschnitt sehr gut, 21 mit gut, befriedigend
0, und eine Schülerin fiel durch. Trotz der guten Leistungen sind
die Mädchen arm dran. Sehr wenige dürfen sich selbst einen Beruf
wählen, eine ganze Reihe ist schon verheiratet. Durch Filme, Bücher
und Zeitschriften hört unsere Jugend, wie die Frauen in den westlichen
Ländern gehalten sind, und so fällt es ihnen von Jahr zu Jahr
schwerer, sich den eisernen Familien- und Kastentraditionen zu fügen.
Die Frau ist einfach rechtlos dem Manne gegenüber, und es wird noch
viele Jahre dauern, bis sie als ebenbürtig behandelt wird. Gesetzlich
ist die Frau in Indien gleichberechtigt. Die Mädchen sind immer noch
eine Last in der Familie, weil sie eine hohe Heiratsmitgift bringen müssen,
so hoch, daß eine Familie mit mehreren Mädchen finanziell ruiniert
ist. Je höher aber ein Mädchen Studien vorweisen kann, desto
niedriger ist die Mitgift. Das ist ein Grund, warum heutzutage so viele
Hindus ihre Töchter zur Schule schicken.“
Dezember
1961
„Soeben
habe ich etwa 120 unserer Schulkinder Lichtbilder ‚Vom Fischer und seiner
Frau’ gezeigt. Ich weiß nicht, ob je ein deutsches Theater ein dankbareres
Publikum gehabt hat als ich. Schnell bekam der Fischer den Hindinamen:
‚Santosch’ – der Zufriedene, und seine Frau: ‚Swarti’ – die Habgierige,
Selbstsüchtige. Sogar für Mantje, Mantje, timpete fanden wir
einen Hindi-Spruch. Ich erzählte, daß der Projektor von einer
deutschen Schule sei. Die Kleinen fragten: ‚Haben uns die deutschen Mädchen
so gern? Haben sie uns auch gern, wenn sie sehen, daß wir eine braune
Haut haben?’ ‚0 ja’, sagte ich, die ‚Hannover-Mädchen haben gerne
eine braune Haut, und wenn sie selber keine haben, brauchen sie viel Creme.’“
Februar
1962
„Wir
hatten einen großen Gemüsegarten angelegt, und so konnten wir
dieses Jahr unsere Schülerinnen mit vitaminreicher Kost versorgen.
Wir haben zwar keine Kühlanlagen hier, aber mit kluger Bewirtschaftung
können wir hier das ganze Jahr frisches Gemüse erhalten. Ich
will versuchen, von Deutschland noch etwas bessere Samen zu erhalten. In
den Wintermonaten gedeihen hier alle europäischen Gemüse, im
Sommer gurkenartige Gewächse und Melonen. Es wäre nicht nötig,
daß in Indien ein einziger Mensch hungert, wenn die Landwirtschaft
und der Gartenbau auf der Höhe wären. Wir verlangen jetzt von
unseren Schülerinnen, daß sie, bevor sie unsere Schule verlassen,
einen kleinen Hausgarten versorgen können.“
Oktober
1962
„Wir
hatten viermal Überschwemmung in drei Monaten, auch zwischenhinein
ging das Wasser nur langsam zurück. Die Gegend ist topfeben, und die
einzigen höheren Punkte sind die aufgeschüttete Bahnlinie und
die Überlandstraße. Menschen, Vieh und Geflügel, kurz,
alles was sich retten konnte, flüchtete sich auf die Bahnlinie und
die Straße. Weite Strecken waren wie ein Meer, und nur die Baumkronen
schauten heraus. Viele Dörfer wurden ganz weggewaschen, viele Hütten
stürzten ein. Zahlreiche Menschen und viel Vieh und Geflügel
kamen ums Leben, nicht zu reden von der Ernte, die um mehr als die Hälfte
verdarb.“
Dezember
1962
„Wir
haben den ganzen Garten voll schönem deutschem Gemüse, von Ihrem
Samen. Wir sind jetzt doppelt froh darum. Sie wissen ja, was für schwere
Sorgen über Indien hereingebrochen sind mit dem Einfall der Chinesen.
Wenn auch noch genug Nahrungsmittel im Land sind, der Transport wurde sofort
gehemmt, und in einer so abgelegenen Gegend wie der unsrigen spüren
wir das sehr.“
20.5.1963
„Unsere
Haushaltungsschule ist nun bald fertig. Die Arbeiten ziehen sich zwar hinaus,
aber es geht doch sichtbar dem Ende entgegen. Wir haben dieses Jahr dank
Ihrer Hilfe sehr viel Gemüse gehabt. Jetzt haben wir noch etwas Lauch
und Paprika. Die Zwiebeln haben wir letzte Woche geerntet. Sonst ist der
Garten jetzt leer. Es ist die allerheißeste Zeit und ohne Regen.
Erst Mitte nächsten Monats kommt die Regenzeit, und dann wachsen nur
Gurken und Kürbisse, im August fangen wir dann wieder mit der Saat
des anderen Gemüses an.
Wir
hatten auch viele Fische dieses Jahr, und ich werde wieder Fischbrut kaufen
und in unseren Teich einsetzen. In unserem kleinen Gut mit dem Waisenhaus
bauen wir gegenwärtig einen Kuhstall.“
1964
,,Wir
erleben hier gegenwärtig eine große Teuerung. Die Lebensmittelpreise
steigen, aber nicht die Löhne. Die Staatsbeiträge für die
Schulen wurden gekürzt. Indien muß mehr für seine Armee
aufwenden. Wieder kommen Flüchtlinge in Scharen aus Pakistan, diesmal
großteils Anhänger der christlichen Religion, Hindus und Mohammedaner.
Auch wir in Bettiah erwarten 1000 Familien.“
20.3.1964
„Wir
haben seit Januar eine landwirtschaftliche Beratungsstelle hier, wo man
gutes Saatgut und Kunstdünger kaufen kann. Der Leiter kommt manchmal
zu uns herüber und schaut im Garten nach. Er hat fast nichts zu tun.
Die Leute haben den Wert der Beratungsstelle nicht erfaßt. Er ist
froh, wenn wir hingehen. Es ist nämlich hier fast ungeschriebenes
Gesetz, wer unser Vertrauen hat, dem glauben die Leute. Und nicht etwa
nur die Christen.“
Juli
1964
„Gegenwärtig
bedrücken zwei riesige Probleme das Land: die Nahrungsmittel-knappheit
und das Flüchtlingsproblem. Wir haben hier Rationierungskarten für
Weizen, Reis und Zucker, doch eigentliche Hungersnot ist nicht.
Die
Leute kommen natürlich mit absolut nichts, auch die Frauen haben kaum
etwas, sich zu bedecken. Ich habe nach Deutschland geschrieben um Kleider
und Wolldecken, und die erste Sendung ist unterwegs. Wir öffnen eine
Arbeitsschule im Lager und arbeiten an den freien Halbtagen und am Sonntag
dort. Von morgen holen wir auch eine Gruppe Mädchen in unsere Haushaltungsschule.
Wir tun, was wir können, aber das Elend können wir nicht wegnehmen.
Wir haben jetzt Regenzeit, und die Zelte sind nicht dicht.“
Dezember
1964
„Wir
konnten eine ganze Reihe Projekte durchführen: Wir haben eine eigene
Klasse für Mädchen aus dem Flüchtlingslager, die von uns
auch Nahrung und Kleidung erhalten. Wir haben eine Schneiderei, wo die
Kleider, die wir von Europa erhielten, für die Flüchtlingskinder
geändert werden. Wir schenkten unseren armen Schulkindern Milch aus,
kauften Weizen und gaben ihn zu niederen Preisen an die armen Arbeiter
aus, um sie vor dem ärgsten Hunger zu bewahren. Unsere Schwestern,
teilweise allein, teilweise mit den Schülerinnen des Lehrerinnen-
seminars, besuchten das Flüchtlingslager und die Aussätzigensiedlungen
und brachten Arznei. Wir konnten sechs Schulzimmer fertigstellen, und so
sind nur noch drei Klassen übrig, die kein rechtes Klassenzimmer haben.“
Januar
1965
„Dies
Jahr war ein sehr bewegtes. Wir hatten Hungeraufstände und dann den
Krieg an der Grenze mit all der Angst und Unsicherheit. Auch jetzt ist
die Gefahr nicht vorüber.
Wir
bestreben uns, unsere Schule mehr und mehr auszubauen, um dem Lande nützlich
zu sein. Ich habe im August drei junge indische Schwestern erhalten mit
guten akademischen Graden. Sie arbeiten vorzüglich. Vorgestern kam
eine junge Amerikanerin vom Friedens-Corps an, die Kurse für Geflügelhaltung
geben wird. Sie ist Methodistin. So sind wir in jeder Beziehung eine recht
gemischte Gesellschaft – Religion, Nationalität, Sprache. Das ist
gut so. Bis Ende Dezember werden einige weitere Schlafräume fertiggestellt,
so daß wir die Schülerinnen für einen einjährigen
Haushaltungskursus unterbringen können. Wir brauchen noch mehr Gartenland
für unser Praktikum.“
September
1966
„Am
2. September kam die Sendung in bestem Zustand an, die Kleider sowohl als
auch die Lebensmittel. Die Babynahrung habe ich sofort halb ins Waisenhaus
und halb ins Spital gegeben. Die Schwestern haben sehr darauf gewartet,
sie hatten nichts mehr für die ganz Kleinen. Die Zahl der weggeworfenen
Kinder ist stark im Ansteigen. Es sind selten Buben, meist Mädchen,
und es ist wohl die allgemeine Nahrungsmittelnot, die die Leute zu einem
solchen Schritt bewegt.
Die
Schule macht schöne Fortschritte. Ich konnte eine Schwester in die
Sommerschule der Ford Foundation schicken, für Chemie, und eine zum
Englisch-Kurs des Britischen Instituts. Alle Klassen sind übervoll.
Die High School, das Lehrerinnenseminar, der hauswirtschaftliche Zweig,
die Klasse für Flüchtlinge, sogar der Kindergarten. Schulgeld
bekomme ich wenig, da es den Leuten an Essen fehlt.“
Dezember
1966
„Wir
gingen auch sofort daran, Pläne auszuarbeiten, um eine Notküche
für etwa 1000 Personen einzurichten. Sie wissen ja aus den Zeitungen,
daß es in unserer Provinz Bihar nicht gut geht. In Champaran hatten
wir etwas Regen, und wenn die Ernte auch nicht gut war, etwas ist doch
gewachsen. In Süd-Bihar ist der letzte Reishalm verdorrt. Wenn nicht
Lebensmittel von auswärts gesandt würden, hätten wir noch
viel mehr Todesfälle an Hunger. Wir konnten bis jetzt immer wieder,
wenn auch mit Mühe, die notwendigen Nahrungsmittel aufbringen. Besondere
Sachen, wie z.B. etwas Weißmehl für Weihnachten, kann man dieses
Jahr nicht erwarten.
Gestern
sollten wir unsere Schule schließen. Alle High Schools und Colleges
wurden geschlossen wegen der schweren Studentenunruhen. Wir stehen mitten
im Examen, und so arbeiten wir weiter bis morgen abend, wenn möglich,
und dann schließen wir für Weihnachten. Trotz aller Sorgen freuen
wir uns darauf, besonders auf ein paar ruhigere Tage. Ich plane mit den
Schwestern einen Ausflug in den Dschungel. Bis dann kommt vielleicht der
Weizen an, damit wir mit der Ausspeisung beginnen können. Die Extrakosten
kann ich mit Ihrer Gabe decken und auch unsern Lehrerfamilien etwas Reis
kaufen. Die sind übel dran, betteln können sie nicht, und reichen
tut‘s nirgends.
Deutschland
hat in Indien einen guten Namen, nicht nur wegen der Stahlfabrik in Rourkela,
die nach den Anfangsschwierigkeiten sich sehr gut entwickelt hat, sondern
vor allem durch die großzügige Hilfeleistung. Obgleich eine
Hungersnot in einem übervölkerten Land, das dazu noch an einer
mangelnden Organisation leidet, um es sanft zu sagen, schrecklich ist,
– die Zusammenarbeit der Hilfsorganisationen ist wunderbar. Besonders die
Deutschen haben ein gutes Beispiel gegeben, und zwischen katholischen und
evangelischen Missionen ist Zusammenarbeit und Freundschaft entstanden.
Wir
sind fast die einzige High School, die das neue Schuljahr angefangen hat.
Die Regierungsschulen sind alle geschlossen bis nach den Wahlen. In Patna
und vielen anderen Städten waren blutige Studentenunruhen. Die jungen
Leute sind aufgebracht, schon wegen der kleinsten Herausforderung schlagen
sie sich mit der Polizei. Die jungen Leute sehen im Kino und hören
im Radio, wie man anderswo lebt. Sie schieben alle Schuld der Regierung
zu, sogar, daß letztes Jahr der Monsunregen so schlecht ausfiel.
– Ein anderer Grund ist auch der, daß die jungen Leute ohne jede
Religion oder Moral aufwachsen. Sie sind dem Namen nach Hindus, aber die
tiefen Werte ihrer Religion sind ihnen ganz fremd.“
Juni
1967
„Ich
hoffte, dies Jahr nach Deutschland auf Heimaturlaub kommen zu können
und Ihnen einmal meinen persönlichen Dank abstatten zu können.
Aber die Arbeit ist hier so dringend, daß ich mit einem guten Gewissen
nicht wegkonnte. Unsere Leute hungern, nicht nur die ganz Armen, auch der
Mittelstand. Ich habe gegenwärtig über 250 Männer und Burschen
beschäftigt in einem Food for Work-Programm. Wir bauen Häuschen
für arme Familien. So haben wir beides: Arbeits- und Nahrungsbeschaffung
und Unterkunft für arme Familien. Die Hilfe wird ohne Rücksicht
auf Religion gegeben. Die Mittel muß ich zusammenbetteln. Trotzdem
es auch für uns beängstigende Stunden gibt, immer wieder kommt
uns die Kraft zum Weitermachen. Neben dem Food for Work-Programm haben
wir jetzt in den Ferien auch Klassen für Kinder, die sonst nicht in
die Schule gehen. Sie müssen sich erst das Essen verdienen, indem
sie etwas lernen. Es kommen so viele, daß wir fast nicht durchkommen.
Nur den Kranken und Alten geben wir Essen ohne Gegenleistung. Jetzt warten
wir mit Sehnsucht auf den Monsum. Mit dem Regen kommt auch die Hoffnung
auf eine Ernte. Bis jetzt hatten wir seit letzten Oktober kaum einen nennens-werten
Regen.“
Dezember
1967
„Wir
treffen nun alle Vorbereitungen für einen Kursus vom 10.-20.1. ‚Food
Production and Community Development’. Unsere Gedanken kreisen fast nur
noch um einen Punkt: Wie können wir mehr helfen?“
Renate
Becker, Sr. Sigrid Voggel
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