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DIE GOLDENE
SOPHIE
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Die Goldene
Sophie. Thema mit Variationen
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1.
Variation |
Kurfürstin
Sophie an ihre Nichte Elisabeth-Charlotte (Lieselotte) v. d. Pfalz
Vielliebe
Nièce und Freundin!
Ew.
Liebden tue ich zu wissen, daß die hohe Schule für die weibliche
Jugend zu Hannover, so meinen Namen träget, selbigen Tages jubilieret,
maßen sie fünfund-siebenzig Jahre vollendet. Wir sind höchlichst
enchantieret; und urteilet selber, ob wir dessen Ursach haben. Die Instruktion
derer Schülerinnen währet neun Jahre, worinnen sie nicht allein
zu jungen Demoiselles heranreifen, so auf dem Parquet eine ebenso perfekte
Conduite zeigen wie in der Familie, sondern auch, was sie ja heutigen Tages
vonnöten haben, in dem, was sie ihre Berufung nennen, wohl instru-ieret
sind: Sie müssen Objekte von allerhand Gattung lernen:
Sich
eifrig zu tummeln im Reigen und an absonderlichen Geräten, im Gesang
und im Spielen von Flöte und Violon vor die so tanzen wollen, im Parlieren
unterschied-licher Sprachen, auf daß sie in Frankreich und Engelland
dessen eine schöne Probe geben.
Wo
ich davor gesorget, daß die Schule meinen Namen träget, so habet
es Euch desto leichter zu getrösten, als ich ingleichen angeordnet,
daß die Damen, so ihr vorstehen, immer Euren Vornamen Elisabeth tragen.
Eure
ganz ergebene Schwester und Dienerin
Sophie
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2.
Variation |
Der nationale Wachtposten,
Zeitung der Vaterlandsfreunde, Mitte Juni 1975
Zum Jubiläumsfest der
Sophienschule sollte man herzlich gratulieren, wenn man’s nur könnte.
Denn was sich an Undeutschem, an bedauerlich sansculottenhaft Freisinnigem
da eingeschlichen hat, kann das Herz eines aufrechten Patrioten nur mit
Sorge erfüllen. Da reist man nach Prag, nur um einem kommunistischen
Lande seine zage Willfährigkeit zu beweisen, man liest des tschechisch-amerikanisch-
schweizerischen Renegaten Thomas Manns ,Bekenntnisse des Hochstaplers Felix
Krull‘, um die beabsichtigte Wehrkraftzersetzung literarisch zu tarnen.
Man liest ungepflegt bärtige und langhaarige Pseudoliteraten, die
mit heiligen Symbolen ein frivoles Katz- und Mausspiel treiben oder aus
einer Gruppe eine Dame ins Bild bringen, die kaum verhüllt treibt,
was man ehedem frei heraus Rassenschande nennen konnte. Die Gracchen, ein
zügellos revoltierendes Brüderpaar von sonst guter Familie, werden
als vorbildlich gefeiert. Man lässt unsere nordisch bestimmten Töchter
bedenkenlos von Fremdvölkischen unterrichten, von einer Welschen,
einer Amerikanerin, ja sogar ein Pakistani darf hier wirken. Kein Wunder,
wenn die Anforderungen und damit die Leistungen Jahr für Jahr zurück-
gehen; die Aurea mediocritas beherrscht alle Disziplinen und, wenn es noch
eine Aussicht auf Erfolg hätte, möchte man rufen: „Videant consules!“
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3.
Variation |
Martin Luther, Sendbrief
an den christlichen Adel der Sophiennation
Gnade und Friede zuvor, achtbare
und würdige Frauen, Herren und Freunde!
Ich bedenke wohl, daß
mir’s nicht wird unverwiesen bleiben, als vermesse ich mich, Euren Kreis
anzureden. Allein, es sei! Es ist ein fein Ding, daß ihr euch männiglich
versammlet in der Freundschaft der Geister und euch nicht lasset begnügen
mit des Leibes Speise. Vorzüglich ist es ein köstlich gut Werk,
daß ihr euch der Jung-fräulein in eurer Stadt annehmet, damit
sie behend und geschickt werden, dort zu wirken, wohin sie hernachmals
gestellet werden, und daß ihr sie in Stand setzet, unter ihresgleichen
das Maul frei aufzutun. Des Weiteren habe ich vernommen, wie gar löblich
ihr zu Hambühren als die hierzu Berufenen der Erziehungsaufgabe waltet.
Möge Euer Werk bleiben und Bestand haben durch die Zeiten!
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4.
Variation |
Zeitschrift für
angewandte politologische Soziologie, I, 6
In der Pluralität unserer
spezifisch existenziellen Position ist eine Institution wie die Sophienschule
restlos legitim. Als signifikantes Merkmal ist zu nennen die absolute Stringenz,
mit der voll integrierte Sozialisation intendiert wird, indem man die Lehrinhalte
den Edukationsobjekten gleichzeitig kumuliert und doch selektiv vorgeht,
was die kognitiven ebenso wie die emotionellen Anlagen synchron differenziert.
Charakteristisch ist, dass die Unterrichtseinheiten absolut kreativ orientiert
sind, woraus optimale Sensibilisierung der Schülerinnen resultiert.
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5.
Variation |
Flugblatt der Neo-chaotischen
Stalino-Maoisten, 20.6.1975
Was sich für die Creme
der bourgeoisen Gesellschaft hält, feiert heute das 75-jährige
Jubiläum der Intelligenzkaserne, die bezeichnenderweise den Namen
einer durch-lauchtigsten Kurfürstin trägt. Der reaktionäre
Klüngel der Sophienschule hat wieder brav funktioniert, oder vielmehr:
Die traditionslüsternen so genannten Pädagogen haben 80 Abiturientinnen,
fröhlich-normale Mädchen, in neun Jahren zu ihren sozial-repressiven
Rollenvorstellungen umfunktioniert. Und neunhundert weitere sind in der
Mache, damit nur ja der Leistungsgesellschaft kein gefügiger Diener
verloren geht. Niedersachsen kann beruhigt einer Zukunft entgegensehen,
die in ihren Lehrsälen, Kirchen, Rechtsanwaltskanzleien, Rathäusern,
Arztpraxen und Familien völlig angepasste Marionetten mit gebrochenem
Rückgrat – wie gehabt – sehen wird, auf dass die Ausbeutung der Unterpriviligierten
auch hier ihre fröhliche Fortsetzung finden kann. Lieb Vaterland,
magst ruhig sein!
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6.
Variation |
Goethe-Schiller, Die
Reifeprüfung der Eleonore Stuart
Lehrer:
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Du siehst mich lächelnd
an, Eleonore,
und siehst dich selber an,
und lächelst wieder;
sprichst dann vergebens
viel, um zu versagen.
Was ist der langen Rede
kurzer Sinn?
In der Beschränkung
zeigt sich erst der Meister!
Von wannen kommt dir
d i e s e Wissenschaft?
Zwar hört‘ ich viel,
doch möcht ich alles wissen.
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Schülerin:
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Was man nicht weiß,
das eben brauchte man,
und was man weiß,
kann man nicht brauchen.
Hier ist die Stelle, wo
ich sterblich bin
in meines Nichts durchbohrendem
Gefühle.
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Lehrer
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(schließt die Prüfung
mit den Worten):
Deines Geistes hab ich einen
Hauch verspürt!
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Schülerin
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(draußen zu ihren
Mitschülerinnen):
Der Prüfling hört
vom andern nur das Nein.
Da drinnen aber ist‘s fürchterlich,
und der Mensch versuche
die Götter nicht!
Ein Schlachten war‘s, nicht
eine Schlacht zu nennen.
Alles auf der Welt lässt
sich ertragen,
nur nicht eine Reihe von
Prüfungstagen.
Ich denke, einen langen
Schlaf zu tun,
denn dieser letzten Tage
Qual war groß. |
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7.
Variation |
Drittklassige Tageszeitung
Was die Sophienschule anbetrifft,
so würde ich ihr einen hohen Stellenwert zuerkennen, hat sie sich
doch voll und ganz der Erziehung als auch dem wissenschaftlichen Unterricht
hingegeben. Gegründet im Jahre 1900, wird sie zwischenzeitlich durch
70 Lehrer und 900 Schülerinnen vertreten. Ein Mitglied unserer Schriftleitung,
des meistgelesenen Blattes in dieser Gegend, hat die Erlaubnis bekommen,
einem Unterrichtsvormittag beiwohnen zu dürfen, und ist sein Eindruck
der folgende:
„Ich würde in etwa sagen,
man kann davon ausgehen, dass die Schülerinnen optimalst geschult
werden und die Problematik, die auf sie zukommt, vollinhaltlich in den
Griff bekommen, weil sie in allen irgendwie relevanten Fragen, die im Raume
stehen, den richtigen Einstieg finden. Sie haben die Möglichkeit bekommen,
heikle Fragen anschneiden zu können, weil alles Unfortschrittliche
in Wegfall gekommen ist. Bei dem Schulfest, das ihnen jetzt ins Haus steht,
werden Mädchen aller Klassenstufen Theater spielen und mit ausgewogenen
Geesten sogar in Veersen sprechen.“
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8.
Variation |
Homer, Odyssee 25.
Buch
(Kirke weissagt ihrem
Sohne Telegonos, der Lehrer werden will, was er an Abenteuern erleben wird)
Hast wie Odysseus du erst
Charybdis und Skylla gemieden,
siehe, so kommst du ins
Land der Sophien, die neunfach gegliedert.
Sei auf der Hut, denn Gutes
und Schlimmes gilt es zu sondern.
Manche versuchen voll Tücke,
den Anfänger glatt zu betören,
Freundlichkeit heuchelnd
und Charme und liebenswürdigen Eifer,
ja, sie genießen‘s
wohl auch, mit typisch weiblichen Listen,
mit der Kosmetik und dem,
was Maxi und Mini verstatten,
junge Adepten zu blenden.
Sei standhaft, ich wiederhol’ es.
Aber aufs Ganze gesehen
ist’s schwer, etwas Schönres zu finden:
Fröhlich sind sie und
gesund, anmutig und bestens erzogen,
folgen den Worten des Lehrers
mit unnachahmlicher Güte.
Schier unersättlich
sind sie, Grammatik und Stil zu begreifen:
Die mathematischen Regeln
und sinnverwirrenden Zeichen,
Bruchstriche, Wurzeln, die
Formeln mit r2 , Asymptoten,
all das begeistert sie hell,
sie stecken voll Enthusiasmus,
wenn‘s um Geschichte sich
handelt, um Barbarossa und Engels,
Salamis und die Kommune,
um Mehrwert und Ostrakismos.
Lieber, du kannst nicht
ermessen, was dein in der Seelhorst noch harret:
Freue dich, denn du erwähltest
den schönsten aller Berufe!
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.©
2002 Sophienschule Hannover |