FREMDSPRACHENUNTERRICHT 
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Mensch und Technik (ohne Natur) oder:
Fremdsprachenunterricht und Medien
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Es war einmal eine Zeit, in der das Wort „Medien“ vorwiegend im Singular auftrat und laut Definition einer großen deutschen Enzyklopädie „eine der außersinnlichen Wahrnehmung für fähig gehaltene oder speziell bei spiritistischen Sitzungen mit ,Geistern’ in Verbindung tretende Person (,Mittelsperson’)“ bedeutete. In jenen fernen Tagen bestand die technische Ausrüstung einer durchschnittlichen Schule – abgesehen von der Heizung, die im Zuständigkeitsbereich des Hausmeisters lag – aus Telefon, mechanischer Schreibmaschine und – Tribut an den Fortschritt – Umdrucker: Gerätschaften, die fest im Griff der Sekretärin waren.

Der Unterricht in den lebenden Fremdsprachen wurde unter Zuhilfenahme eines Buches durchgeführt, wobei hinsichtlich Aussprache und Intonation im Idealfall der Lehrer die entscheidende Instanz war.

Das Manko eines fehlenden „native speaker“ wurde überwunden, als die Plattenspieler laufen lernten bzw. tragbar wurden. Von nun an produzierten auch die Schulbuchverlage Schallplatten, auf denen der jeweilige Lektionstext von originalen Sprechern gelesen wurde. Die Besonderheit dieser Platten (Durchmesser 17 cm) bestand darin, dass sie nicht wie üblich mit 45, sondern mit 33 1/3 Umdrehungen pro Minute abgespielt werden mussten.

Falls der Lehrer dies nicht bedachte, trat der bekannte Micky-Maus-Effekt ein, und der Erfolg der Stunde war gesichert. Für zusätzliche Spannung sorgte der Aufbau des Gerätes: Mit schöner Regelmäßigkeit fiel der Deckel mit dem darin untergebrachten Lautsprecher um; auch war nie sicher, ob der Tonabnehmer, den der Vorgänger nicht immer vorschriftsmäßig arretiert hatte, den Transport in die Klasse heil überstanden hatte.

All diese Misslichkeiten waren überwunden mit dem Aufkommen von Spulenton-bandgeräten: Diese waren vergleichsweise robust und boten besseren Klang. Anderer-seits konnte ihre Bedienung in nervenaufreibende Fummelei ausarten, wenn sich das Band nicht auf Anhieb um die Tonköpfe legen wollte.

Übrigens musste auch der Lehrer robust sein, wenn er eines dieser Geräte z.B. in die dritte Etage zu transportieren hatte, wogen sie doch oft 10 Kilo und mehr.

Schulen, die auf der Höhe der Zeit waren oder denen einfach auch nur genug Geld zur Verfügung stand, entschieden sich für die Anschaffung eines Sprachlabors.

Der Schüler saß, rechts und links mit Hilfe von Trennwänden von seinen Mitschülern abgeschirmt, vor einem Tonbandgerät und versuchte sein Glück nach dem „trial-and-error“-Prinzip (auf Deutsch etwa: Probieren geht über Studieren, oder: Versuch macht klug). Dabei reagierte er wie der Pawlow’sche Hund auf Stimuli vom Band (nur lief ihm selten das Wasser im Munde zusammen). Nach dem Motto „Big Brother is listening to you“ thronte der Lehrer über allem und konnte sich unbemerkt bei einzelnen Schülern zum Mithören einschalten.
Allerdings hielt die Ausbildung der Lehrer zum Herrn über Tasten und Knöpfe im Sprachlabor nicht Schritt mit der Bereitschaft der Industrie, ihre Anlagen zu 
verkaufen, und so war dieser Art des Sprachenerwerbs ein schnelles Aus beschieden.

Mit der Entwicklung des Walkman durch findige japanische Ingenieure und die damit einhergehende Verkleinerung der Geräte hielt der Cassettenrecorder Einzug in die Schulen, nicht nur als beliebtes Unterhaltungsmittel für Schüler während der Pausen und des Unterrichts, sondern auch – mit kräftiger Unterstützung durch die Schulbuchverlage – als Unterrichtsmittel im Fremdsprachenunterricht.

In dem Maße, in dem Gewicht und Größe der Geräte abnahmen, nahm die Unerträglichkeit der Klangwiedergabe zu – ein Mangel, der nur zum Teil ausgeglichen werden konnte durch das Vorhandensein der variablen Abspielgeschwindigkeit: Plötzlich war der Micky-Maus-Effekt wieder da, nun sogar in entgegengesetzter Richtung, was Stimmen „in den Keller“ sinken ließ. Selbstverständlich machten Schüler, sobald der Lehrer den Rücken kehrte, von diesen „special effects“ ausgiebigen Gebrauch.

Waren – mit Ausnahme des Sprachlabors – bis zu diesem Stand der Entwicklung die unterschiedlichen Geräte vorwiegend zum Abspielen von so genannten Tonträgern und damit zur Übung des Hörverstehens geeignet, wurde alles anders mit der Einführung des Computers. Nun ist es möglich, Lesen, Hörverstehen, Schreiben und Sprechen einzuüben, wenn es darauf ankommt, alles gleichzeitig. Mit der neuen Technik bedarf es natürlich auch neuer Begriffe, und so ist von „Hardware“ und „Software“ die Rede, wo früher Plattenspieler und Schallplatte ihren Dienst taten.

Die technische Entwicklung geht, wie man sieht, nicht am Fremdsprachenunter-richt vorbei – schon gar nicht an den Schulbuchverlagen. Schon warten neue Erfindungen (etwa „memory stick“) darauf, in die Praxis umgesetzt zu werden, und vielleicht gibt es ja eines Tages so etwas wie den Nürnberger Trichter, digital natürlich. Warten wir’s ab.

Hans-Jürgen Deppe

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