ROLLENKONFLIKT DES LEHRERS 
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"Ich kann nur über Wissen verfügen, das
keinen Menschen interessiert."
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Der Rollenkonflikt des Lehrers Ein Stoßseufzer, Ausdruck von Resignation oder Frust? Eingeständnis zu hoher Erwartungen eines Lehrers? Oder doch nur ironisches Selbstzeugnis, das genau das Gegenteil meint? Kommt der Satz aus den Beobachtungen, dass man mit Minimalwissen Geld, sogar viel Geld verdienen kann, mit einer soliden Ausbildung aber arbeitslos auf der Straße steht? Sind es Beobachtungen in einer Gesellschaft, in der man mit falschem Deutsch („Hier wird Sie geholfen!“) die Nation beschäftigen kann? (Und mal ehrlich, wie viele Menschen wissen eigentlich, was an dem Satz falsch ist?)

Sicher geht es nicht um Rekordverdächtiges, das Guinness-Buch der Rekorde auswendig zu wissen oder, wie bei „Wetten dass ...“, aus der Zahl und der Form von Luftperlen die Herkunft eines Mineralwassers zu bestimmen. Da hat schon vor Jahren Didi Hallervorden das endgültige Urteil gesprochen: „Es ist verrückt!“

Es geht um die fundamentale Frage: Was darf, was muss der Mensch wissen?

Immer wieder geistern durch die Medien Aufsätze von Fachleuten, das eine oder andere Schulfach sei völlig überflüssig. Sogar die Mathematik stand schon im Kreuz-feuer der Kritik.

Kann und darf sich der Lehrer also trauen, sein Fach als wichtigen Bestandteil eines Bildungskanons zu verkaufen? Ist die oft ermüdende Diskussion über die Frage, wozu man den jeweils aktuellen Unterrichtsstoff denn im richtigen Leben brauche, überhaupt zulässig? Womit macht man denn einen Menschen für das Leben fertig? Gewiss nicht mit dem Schulwissen allein; aber könnte dieses Wissen nicht die unabdingbar notwendige Voraussetzung für alles andere sein? Darf man vielleicht sogar mehr wissen als das, was man in der Schule lernt?

Die Lerninhalte werden immer mehr reduziert, weil die Informationsflut ständig zunimmt. Nur der Umgang mit Medien und mit der Information soll noch gelernt werden. Reicht es aber wirklich, das Lernen zu lernen? Ist die Vermittlung der Kulturtechniken genug? Sind die übergreifenden kognitiven und emotionalen Lernziele das Ende der Weisheit?

Der Lehrer steht zwischen den Fronten. Er muss und möchte sein Fachwissen an die Schüler vermitteln. Er ist der Kritik der Bildungspäpste ausgesetzt, die den Fächerkanon in Frage stellen, der Schule immer wieder neue Bildungsinhalte und Erziehungsziele überantworten. Der Unterricht in der Schule befasst sich dann nicht mehr mit Exemplarischem, sondern nur noch mit Pröbchen. Für eine ruhige, solide Beschäftigung mit dem Stoff bleibt dem Schüler keine Zeit.

Ich stelle mir einen anderen Bildungsinhalt vor und bekenne mich dazu: Neugier und Offenheit für Tradiertes und für Neues, nicht aus Kritikbewusstsein alles abzulehnen, sondern erst zuzuhören und dann Stellung zu beziehen.

Könnte das vielleicht unsere Botschaft an eine Schule im dritten Jahrtausend sein?
 

Gerd Lauing
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