ASYLBEWERBER IM GLOBAL VILLAGE 
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Asylbewerber im Global Village
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Von der Clique der Computerfreaks zur Voraussetzung für die Arbeitswelt von morgen Informatik in der Schule. Das war früher etwas Aufregendes. Etwas, das Spaß machte, weil es etwas Exklusives war. Im Informatik-Raum traf sich der elitäre Kreis der eingeweihten Schüler, AG-Teilnehmer und Lehrer. Hier hatte er seine eigene kleine Welt, in der jeder seine Beherrschung dieses wunderbaren neuen Spielzeuges, von dem „die anderen“ keine Ahnung hatten, unter Beweis stellen konnte. Verirrte sich einmal ein auf dem Gebiet der Computertechnik völlig unerfahrener Schüler in eine Informatik-AG, musste er sich trotz der Hilfsbereitschaft von Mitschülern und Lehrern eher wie ein Fremdkörper fühlen.

Sicher, auch damals war nicht alles nur Vergnügen. Die Ziele der Informatik als Unterrichtsfach waren durchaus klar umrissen. Das Verständnis für die Arbeitsweise des Computers, die Fähigkeit zur Entwicklung von Algorithmen und komplexen Programmen und die nötigen Grundkenntnisse, um in dem aufstrebenden neuen Berufszweig der elektronischen Datenverarbeitung, der EDV, zu arbeiten, waren wichtiger Lehrstoff. Doch letztendlich hatte es immer etwas mit der Freude am Experimentieren mit einer neuen Technik zu tun.

Dann begann die bis dahin ausgeschlossene Mehrheit der Gesellschaft, aufzuholen. Innerhalb weniger Jahre vervielfachte sich die Zahl der geschäftlich und privat genutzten Computer. Der Vorsprung schrumpfte zusammen, und schon bald fiel die Leistungsfähigkeit der in den Schulen vorhandenen Computer weit hinter den Durchschnitt zurück.

In dieser Phase erregte auch das junge „World Wide Web“, Herzstück des neuen Internets, das aus dem in den siebziger und achtziger Jahren entstandenen System aus miteinander verbundenen Computern in Universitäten, Forschungseinrichtungen und Computerfirmen in aller Welt hervorgegangen war, immer mehr Aufmerksamkeit.

Was zur Übermittlung von technischen Daten geschaffen und zusätzlich zur Kommunikation zwischen wenigen Computerfreaks benutzt worden war, entwickelte sich zu einer globalen Datenbank, deren Informationsbestand sich innerhalb weniger Jahre um ein Vielfaches vergrößerte und die ständig weiterwächst. Der Zugriff auf einen bestimmten Computer von jedem Ort der Erde aus war die Grundvoraussetzung für Vernetzung und Globalisierung, die Zauberworte der Zukunft. Die Welt wurde zum „Global Village“.

Auch die Schulen und ihre staatlichen Träger reagierten schließlich. Durch die Initiative „Schulen ans Netz“ wurde endlich die benötigte Technik bereitgestellt, um das Internet auch in der Schule sinnvoll nutzen zu können. Die Cliquen der Computer-Freaks an den Schulen reagierten begeistert. Neben dem „Surfen“ im Netz begannen sie schnell damit, den Online-Auftritt ihrer eigenen Schulen mit viel Enthusiasmus und Engagement zu realisieren. An einigen Schulen starteten sogar Pilotprojekte, die das Internet als Informationsquelle in die regulären Unterrichtsfächer einzubinden versuchten.

Aber „draußen“ ging die Entwicklung weiter. Online-Banking, Online-Brokering und E-Commerce verwandelten das Internet von Informationsspeicher, Werbefläche und Diskussionsforum in einen wesentlichen Bestandteil der globalen Wirtschaft. Viele geschäftliche Transaktionen, Teamarbeiten und internationale Projekte werden inzwischen online abgewickelt. Allen Prognosen zufolge wird diese Entwicklung sich noch ausweiten und das Internet in Zukunft zu einem nicht zu ignorierenden Faktor in praktisch allen Berufszweigen machen.

„Medienkompetenz“, die Fähigkeit, sicher mit den modernen Informations- und Kommunikationstechnologien zu arbeiten, wird voraussichtlich in der Arbeitswelt von morgen ebenso unabdingbar sein wie Flexibilität, Weiterbildung und Sprachkenntnisse.

Wie weit kann die Schule diesen neuen Anforderungen gerecht werden? Es ist leider ein bekanntes Problem, dass sich Veränderungen, besonders solche, die mit Kosten verbunden sind, in unserem Schulsystem nur schleppend vollziehen. Aber Zeit ist genau das, was in der in ständigem Wandel begriffenen Online-Welt nicht vorhanden ist. Der Wandel in den Köpfen der Schüler ist dagegen schon jetzt sichtbar.

Die alten Strukturen brechen auf. Inzwischen ist die Informatik-AG zumindest an der Sophienschule kein „Club der Computerfreaks“ mehr. So wie der Computer heute für viele Schüler zum Alltag gehört, wird auch diese AG vom Ansturm der interessierten Schüler fast erdrückt. Viele Schüler nutzen bereits privat das Internet zur Unterhaltung, aber auch als Informationsquelle für die Schule.

Auch im „echten“ Informatik-Unterricht wird dies deutlich. Die Zahl der Schüler in den Kursen übersteigt die der zur Verfügung stehenden Computer inzwischen bei weitem, und das trotz der Anschaffung neuer Rechner. Informatik hat sich von einem Spezialfach für wenige technisch versierte Schüler zu einem von den meisten Schülern als wichtig empfundenen Unterrichtsfach entwickelt. Doch dieser Veränderung muss auch von Seiten des Staates Rechnung getragen werden. Zwei Unterrichtsstunden ab Klasse 11 werden der großen Bedeutung dieses Themas für die Arbeitswelt der Zukunft kaum gerecht.

Es ist wichtig, dass alle Schüler bereits vor ihrem Studium ausreichende „Medienkompetenz“ erwerben können. Wenn „ständiges Weiterlernen“ als Hauptanspruch an den Arbeitnehmer von morgen gestellt wird, dann muss dieser Prozess bereits in der Schule beginnen, und zwar in allen Bereichen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Menschen ohne außerschulische Weiterbildung allenfalls Asylbewerber im „Global Village“ der Internet-Gesellschaft sein werden.

Malte Burbließ
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