Sophienschule
im 21. Jahrhundert
- ein einjähriges
Projekt |
Das
Geräusch kennt jeder. Man haut auf den Nachttisch neben sich, tastet
nach dem Gerät, was da so unerträglich den Schlaf stört.
Aber zur Schule muss man, auch noch im 21. Jahrhundert. Ich quäle
mich also aus meinem warmen Bett, schleppe mich ins Bad und nach erledigter
Katzenwäsche (das Duschen verschiebe ich auf abends) zum Kleiderschrank,
um die neuesten Klamotten anzuziehen. Schnell raffe ich ein paar Sachen
zusammen, mein Schminktäschchen steht an erster Stelle, da es mal
wieder ein langer Schultag zu werden verspricht. Der Laptop wird in die
Tasche gestopft, doch meine Disketten mit den Ergebnissen unseres Team-workprojektes,
die ich zu Hause noch fertig gemacht habe, sind wie vom Erdboden verschluckt,
einfach weg. Der Erfolg, sie zu finden, bleibt aus. Ich renne um die Wette,
denn wer sagt mir, dass mein Auto heute anspringt? Wieder viel zu schnell,
mit sicher 65 h/km rase ich da entlang, wo nur 30 erlaubt sind, düse
im 3. Gang in die Parkgarage unterm Schulhof (Parkplatzprobleme gibt es
nicht mehr).
Im
Galopp haste ich die Stufen von den Parkdecks zum Pausenhof hoch und höre
die Stimme meiner Schwester durch die Lautsprecher des Schulradios quäken,
die uns auffordert, in den Klassen zu verschwinden. Die direkte Anrede
meiner Person verkneift sie sich ausnahmsweise einmal. Im ersten Stock
angekommen, erklingen noch die ersten Takte meines Lieblingslieds durch
die Lautsprecher, aber meine junge, hübsche und dynamische Japanischlehrerin
schließt schon die Tür zum Klassenraum auf und will mich von
ihrem Unterricht ausschliessen.
Doch
die nun folgenden Gespräche über unsere Studienfahrt nach Tokio
können mich nicht so recht fesseln. Meine Gedanken gleiten ab, ich
betrachte das tolle Stadtpanorama New Yorks auf den Postern direkt vor
mir an der Wand und stelle mir vor, mit allen meinen Freunden dorthin zu
fahren, die im Englisch-LK das Glück haben, Amerika unsicher machen
zu dürfen. Tokio wird zwar auch toll, aber nicht mit dieser Gruppe.
Aber immerhin noch besser als mit dem Deutsch-LK nach Weimar. Eine Frage
reißt mich aus meinen Tagträumen: Oh ja, genau die Ergebnisse
unseres Teamworkprojektes auf den im Nichts verschwundenen Disketten.
Da
ich irgend etwas von einem Einbruch in unser Haus in der letzten Nacht
stammele, bei dem natürlich auch meine Disketten auf abenteuerliche
Weise verschwanden, wird die andere Gruppe drangenommen und führt
anhand des Beamers ihr Projekt vor. Dieser Beamer war eine gute Idee, so
fällt es mir immer wieder auf. Aus ist es mit Tafelbildern, die keiner
entziffern kann, aus ist es mit lästiger Folienschreiberei, Arbeitsblättern
und schweren Büchern im Rucksack. Für uns gibt’s nur noch den
eigenen Laptop.
Als
es dann endlich zur Pause klingelt, kann ich es kaum erwarten, endlich
mit einer Tasse Kaffee im Schulbistro meine Ruhe zu finden.
Doch
mit Ruhe ist noch nichts, denn die Pause ist laut und nervig, die Kleinen
der 7.-12. Klassen verstärken meine schlechte Laune und meinen Wunsch
nach Alleinsein. Dann endlich erklingt der freundliche Dreiklang, und ich
bin allein. Mit Genuss verdrücke ich mein Snickers auf dem ruhigen
Hof, wo seit kurzem ein paar Bistrostühle vor dem neuen direkten Eingang
vom Milchkeller zum Hof stehen. Im Schulradio schnacken ein paar 10.-Klässler
und interviewen grausam schlecht zwei Schüler aus den 11. Klassen,
die gerade von der Studienfahrt aus Berlin zurückgekommen sind.
Mit
wehendem Haar biegt da unser neuer junger und dazu noch gutaussehender
Lehrer auf einer alten holländischen Mühle um die Ecke auf den
Schulhof und legt eine Vollbremsung vor mir auf den Asphalt hin. Wir schnacken
ein wenig über die Podiumsdiskussion am heutigen Abend in der Aula.
Er erzählt mir, um welche hoch-rangigen Politiker er sich bemüht
habe und welche Vertreter irgendwelcher Sekretäre zugesagt hätten.
Immerhin werden die Firmenchefs zweier Wirtschaftsunternehmen hier aufkreuzen,
so drückt er sich aus, die mit unserer Schule kooperieren wollen.
Sie sponsern talentierte Schüler, die nach dem Abi gleich einen Ausbildungsplatz
bekommen werden. Ganz begeistert höre ich zu, obwohl Naturwissenschaften,
der eine Schwerpunkt unserer Schule, alles andere als meine Stärken
sind. Zum Spott einiger Leute spiele ich lieber im Orchester und habe lieber
Latein- und Musik-Leistungskurse als Mathe und Chemie. Ita est. Unser Gespräch
wird unterbrochen von einem Trupp übereifriger Mädels, die seit
neuestem – seit nun dieser tolle Lehrer mit seinen jungen Kollegen das
Schulklima erfolgreich aufpäppelt – grosses Engagement zeigen. Doch
dann geht mir das Geschnatter auf den Nerv, ich beschließe, mich
mental mit meinem Deutschreferat auseinanderzusetzen, und bewege mich in
Richtung Bibliothek und Computer. Dank des Internets bekomme ich schnell
eine Menge über Götes ‚Faust‘ – man merkt schon, welche Spuren
die neue Rechtschreibreform hinterlässt ...
Der
Freistunde folgen mir endlos erscheinende Stunden in Mathe, Kunst und Russisch
und dann endlich die grosse Mittagspause. Erschöpft liege ich mit
einigen Freunden im Gras des Schulhofes, verdrücke aus unserem Bistro
einen Riesensandwich mit Eiern, die nach Meinung einer Freundin stinken.
Ich solle mich mal mit Essen beeilen. Den Gefallen tue ich ihr nicht, sondern
erzähle den übrigen von dem neuen Austauschprojekt mit einer
englischen Schule aus Bristol. Nach 100 Jahren Sophie wurde es aber auch
Zeit, ist die Reaktion. Man erhebt sich, sammelt seine Sachen zusammen,
man fragt nach den Raumnummern des folgenden Unterrichtes und verschwindet
getrennt oder zusammen in den Kursräumen.
In
Erdkunde holen wir die neuesten Daten vom Satelliten „Eumelsat“, der in
Koope-ration mit zwei anderen Schulen selbst gebaut wurde, und analysieren
die Informationen in Gruppen, sprechen gleichzeitig über die Vorkommnisse
des letzten Wochenendes und planen schon das Nächste.
Um
16.00 fliegen die Türen der Klassenräume auf, man drängelt
zur Bahn oder in die Tiefgarage – akute Vergiftungsgefahr – keinen kümmerts.
Die
Podiumsdiskussion abends in der Aula verläuft erfolgreich, die Aula
ist knallvoll und ich müde (und nicht umgekehrt).
Anmerkung:
Es ist schon ein Phänomen, dass sich siebzehn Schüler und ein
Lehrer außerhalb des reichlichen Unterrichts der Oberstufe zusammenfinden,
die bereit sind, über ihren – zeitlich gesehen – 2. Wohnsitz, nämlich
die Sophie, zu sprechen, obwohl sie wissen, dass sie dort nicht mehr lange
weilen werden (Tip: ABI).
In
unserem Projekt entwickelten wir u.a. diesen Alltag in der Zukunft und
geben der zukünftigen Schülervertretung sowie der Schulleitung,
allen Schülern und Lehrern auf diese Weise ein paar Verbesserungswünsche
und Vorstellungen mit, die wir im Rückblick auf unsere Schulzeit an
der Sophienschule für wichtig hielten und halten. Einige dieser Projekte
wären ohne viel Mühe erfolgreich in die Tat umzusetzen.
Mit
kleinen Arbeiten haben wir bereits angefangen, das optische Empfinden zu
ver-bessern, indem wir mit Hochdruckreinigern die Regendächer entlang
des Hauses auf der Hofseite gereinigt, Sitzgruppen auf den Gängen
und Fluren aufgestellt und geschmackvolle Plakate zur Dekoration in verschiedenen
Klassenräumen aufgehängt haben.
Sarah
Kesting
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