DIE ARCHITEKTUR DES GEBÄUDES
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Die Architektur des Gebäudes
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Als in den Jahren 1898-1900 in der Seelhorststraße der Neubau der Sophienschule errichtet wurde, war die Umgebung des späteren Zooviertels noch weitgehend unbebaut: Nur entlang der Hindenburgstraße und ihrer Seitenstraßen bis an die Seelhorststraße waren in den letzten Jahren in lockerer Bebauung villenartige Mehr-familienhäuser entstanden. So entstand also am damaligen Rand der Oststadt ein großzügiger Schulneubau, dem eine verstärkte Bautätigkeit in der Umgebung folgte.

Stilistisch ist im Allgemeinen die Architektur um die Jahrhundertwende noch deutlich geprägt von Historismus und Eklektizismus der zweiten Hälfte des 19. Jahr-hunderts, und in diesem Sinne entwirft der Architekt, Stadtbauinspektor Rowald, ein Gebäude, das in seinem äußeren Erscheinungsbild deutlich charakterisiert ist durch vergleichsweise zurückhaltende Gestaltungselemente der Renaissance und des Barock..


 


 

Zeichnung von 
                                                                                                                             Susanne Darwisch
 
Die Gesamtstruktur wird geprägt von der eindeutig barocken Auffassung einer strengen Axialsymmetrie und der deutlichen Form eines Fassadenbaus mit einer repräsentativen Schauseite zur Straße hin, wobei der breite Vorgartenstreifen zwischen Straße und Fassade wie ein Platz die Schauwirkung der Fassade deutlich unterstützt.

Aus der horizontal betonten Fassade tritt der mittlere Teil als stark betonter Risalit hervor und wird durch kräftige und breite Lisenen, die über dem Kranzgesims 
in hohen Ziervasen fortgesetzt werden, in drei Achsen gegliedert, wodurch eine konstrastierende Betonung der Vertikalen entsteht. In der Mittelachse befindet sich das durch zwei toskanische Säulen flankierte und mit einem Schmuckgiebel über einem antikisierenden Architrav gekrönte Portal.

Besonders betont werden die Fenster der Aula, die sich analog dem Festsaal barocker Schlösser im Mittelrisalit befindet. Bei diesen drei Fenstergruppen variiert Rowald das Palladiomotiv, bei dem ein Bogen von zwei mit geradem Gebälk abgeschlossenen schmaleren Öffnungen flankiert wird, indem er die Fensterbreite auf die der anderen Etagen bezieht und die dadurch größeren Mauerflächen neben den Bögen mit Oculi öffnet. So erhält die Fensterfront des höheren Mittelrisalits einen noch durch Pilaster und ein stark verkröpftes Gesims zusätzlich unterstützten rhythmisch bewegten oberen Abschluss.

Die horizontale Ausrichtung des lang gestreckten dreigeschossigen Gebäudes mit den insgesamt sieben Hauptachsen wird deutlich betont durch verkröpfte Ge-schossgesimse und das waagerecht tiefgefugte Mauerwerk im Erdgeschoss und ersten Obergeschoss.

Dem repräsentativen Charakter der Fassade entspricht auch die Verwendung von festlich wirkendem roten Miltenberger Sandstein, einem in Norddeutschland äus-serst selten verwendeten Main-Sandstein. Repräsentative Bauten in Hannover (Rathaus, Landesmuseum ...) wurden in der Regel aus dem hellen Obernkirchener Sandstein der nahen Bückeberge gebaut.

Hinter dem Portal öffnet sich eine früher mit antikisierendem Stuck ausgestattete und von einer mit Fenstern versehenen Holzwand abgegrenzte Eingangshalle mit einer von zwei Podesten flankierten siebenstufigen Treppe. Diesem Vestibül gegenüber steigt eine breite mittelläufige, von einer großen Fensterfläche hell beleuchtete Treppe empor, die sich in halber Geschosshöhe in zwei gegenläufige Treppenarme aufteilt. Dieses Treppensystem lässt sich unmittelbar zurückführen auf die großartigen Anlagen der Barockbaumeister L. von Hildebrandt in Wien und Balthasar Neumann in Würzburg und Brühl.

„Bei zentraler Lage fängt die Treppe die ... Achse direkt auf ... Den Verlust an Nutzraum im Zentrum wiegen die Steigerung des Raumeindrucks, die Wahrung der Symmetrie und die gleichmäßige Erschließung nach beiden Seiten auf. Die Entscheidung zwischen zentraler und seitlicher Anordnung fällt jeweils in einer Art von Rangstreit zwischen praktischer Vernunft und Streben nach dem Ideal“ (Müller/Vogel: dtv-Atlas zur Baukunst, Bd.2, München 1982, S. 473).

Die Treppe vom zweiten Obergeschoss zum Mansardengeschoss, das 1902 für Schulzwecke ausgebaut wurde, befand sich ursprünglich am Ende des westlichen Korridors.

Breite Korridore, die ursprünglich überwölbt waren, betonen im Innern in Verbindung mit dem Treppenhaus die axialsymmetrische Anlage. Zu beiden Seiten der an der Stirnseite durch große Fenster beleuchteten Korridore befanden sich die Klassenräume, die wenigen Fachräume und in der ersten Etage die Lehrerzimmer. Die Strenge der Symmetrie wurde allerdings 1909 geringfügig gestört, als der Bau in der Südwestecke entgegen dem ursprünglichen Plan um einige Meter Korridor und einen Klassenraum in jeder Etage (Räume 6, 16, 26, 36) erweitert wurde.

Die kürzere Hoffront ist weitaus schlichter gehalten, das in der Mitte liegende Treppenhaus und die äußeren Enden sind durch die Form ihrer Fenster und als geringfügig hervortretende Risalite etwas hervorgehoben. Die Wandflächen sind geputzt und in einem hellen gelblichen Ton gestrichen, die Gesimse waren ursprünglich „in rötlicher, dem Sandstein entsprechender Färbung mit Ölfarbe gestrichen“.

Wenn sich auch die architektonische Gestaltung in einem durchaus konven-tionellen Rahmen hält, allerdings unter deutlichem Verzicht auf die damals allgemein üblichen pompösen Schmuckformen und Symboldarstellungen, so ist doch die funktionale Planung und Ausstattung äußerst fortschrittlich. Nach außen hin wird dieser Aspekt bereits deutlich durch die riesigen Fenster, die den Räumen eine große Menge Licht zuführen.

Aufgrund dieser fortschrittlichen funktionalen Ausstattung, zu der neben elektrischer Beleuchtung und Zentralheizung auch ein Warmluftsystem gehörte, wurde dieser Schulbau auf der Weltaustellung in St. Louis 1904 mit einer Medaille prämiert.

Jürgen Schmitz-Reinthal

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