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Tradition
ist ein beliebtes Wort an der Sophienschule. Wer will, kann dabei an Festgefahrensein,
an unreflektiertes Übernehmen althergebrachter Bräuche nur um
der guten, alten Zeit willen denken. Aber man kann auch an Ruderwander-fahrten
denken, als ein Ereignis, auf das man sich regelmäßig freuen
kann, und eine der attraktiveren Konstanten an unserer Schule.
Jedes
Jahr aufs Neue werden viele Schüler und einige Lehrer in drei, vier
fahrbare Untersätze gezwängt und für eine wunderbare (weil
schulfreie) Woche den Unwäg-barkeiten der Wildnis ausgesetzt. Dieses
Jahr ging es nicht zum ersten Mal in Richtung Mecklenburgische Seenplatte,
obwohl die Alteingesessenen noch mit Schrecken in den Augen von der Havarie
eines Ruderbootes vor einigen Jahren zu berichten wussten ...
Und
auch diesmal sollte es abenteuerlich werden, für die Besatzung von
Herrn Reinholds Wagen allerdings schon früher als erwartet/befürchtet:
„Der Tacho funktioniert nicht. Aber das macht nichts, ich fahre sowieso
immer nach Gehör.“
Schlotternd
entstieg man, endlich am Zielort angekommen, dem Gefährt, den
Boden
küssend und der Höllenfahrt über instandsetzungsbedürftige
Autobahnen gedenkend.
Wesenberg,
die Metropole am Woblitzsee, war also Ausgangspunkt unserer wagemutigen
Unternehmung, allerdings erst am nächsten Morgen; erstmal wurden mehr
oder weniger professionell die Zelte aufgebaut und die Boote seetüchtig
gemacht. Der Rest des Tages wurde mit Fußballspielen, Schwitzen,
Rumsitzen und einem Lagerfeuer verbracht. Nach solch einem Tag freut man
sich normalerweise auf eine Matratze, eine Decke und ein bequemes Bett.
Haha. Isomatte und Schlafsack sind an und für sich nicht das, was
man nach harter Arbeit (oder hartem Spaß) gebrauchen kann, aber zusätzlich
waren in so ziemlich jedes Zelt Heerscharen von kleinen, nervigen und blutrünstigen
Viechern gekrabbelt, geflogen, geschleimt oder gekrochen. Manch einer wurde
die komplette Nacht von einem leisen aber nervenzerfetzenden Summen wach
gehalten, während jene, die gnädigerweise ohne größere
Komplikationen eingeschlummert waren, am nächsten Morgen unübersehbare
Spuren der nächtlichen Insekteninvasion entdeckten. Arme, Beine und
Hände waren übersät mit rundlichen und geröteten Wölbungen.
Die Eingeborenen hielten uns für eine Delegation der anonymen Allergiker.
Die
Abfahrt und der Juckreiz verschwanden schließlich im Dunst des kleinen
Labus-sees, begleitet vom monotonen Platschen der Ruder und dem Gezanke
der Steuermänner, wer jetzt das Kommando habe. Entlang sonderbarer
Ortschaften mit noch viel sonderbareren Namen ruderten wir nun in Richtung
Kolonie Großzerlang. Das „Groß“ ist blanker Hohn, es wäre
bestimmt interessant, die Einwohnerzahl von Kleinzerlang herauszufinden.
Aber die ohnehin gute Stimmung unserer Gruppe erreichte neue Höhen,
als wir die Getränkepreise im Restaurant der Kolonisten sahen. Ein
schöner Abend, ohne lästiges Getier, dafür mit viel Gelächter
und einem späten Spaziergang mit romantisch waberndem Nebel und in
der Ferne bellenden Hunden.
So
schön wie der Abend geendet hatte, so sonnig begann der nächste
Tag, der uns nach Mirow bringen sollte und dies auch tat. Von der für
uns natürlich läppischen Distanz von 25 km nicht besonders geschlaucht,
wurde die Stadt erstmal erfolgreich auf Zeichen moderner Zivilisation (Supermärkte,
Apotheken etc.) erkundet. Es gab sogar eine „Sophienschule“! Leidensgenossen!
Unseren Zeltplatz hinter einem Bootshaus (mit Duschen!!!) mussten wir allerdings
mit ein paar Nürnbergern teilen. Aber zum Glück kann man sich
ja auf den Steg zurückziehen, weshalb sich dann etwa ein Dutzend Leute
auf zwei Isomatten drängelten und versuchten, weder ins Wasser zu
fallen noch jemanden zu strangulieren. Die verdiente Nachtruhe wurde nur
durch markerschütternde Schreie gestört, deren Ursprung am nächsten
Morgen nicht mehr geklärt werden konnte.
Frohen
Mutes begann also die Fahrt nach Flecken Zechlin, durch Gewässer mit
Namen wie Zotzensee und Mössensee, die einige dreckige Lacher provozierten.
Jaja, wir sind die geistige Elite. Trotzdem schafften wir es auch heute
wieder, ohne großartige Verluste in den Zielhafen einzulaufen. Ein
ebenso provinzielles wie geruhsames Fleckchen (höhö) Erde begrüßte
uns mit freundlichem Sonnenschein, was sich jedoch noch ändern sollte.
Gegen Abend zogen düstere Wolken auf, und wer noch wach war, konnte
ein wirklich beeindruckendes Gewitter bestaunen.
Auch
am nächsten Morgen war das Wetter nicht besonders freundlich, manch
einer hoffte sogar darauf, dass wir einen Tag früher als geplant die
Heimreise antreten würden. Aber wer ein echter Ruderer ist, den schreckt
das nicht. Allerdings wird ja manchmal Wagemut mit Wahnsinn verwechselt,
also war nicht klar, ob die Schreie, die beim Ablegen ertönten, eine
Herausforderung an die Naturgewalten oder die Äußerungen psychischer
Probleme waren.
Diese
letzte Etappe entpuppte sich dann auch als sehr strapaziös, weil die
Wellen so hoch waren, dass manche Boote nur mit Glück Rheinsberg erreichten.
Aber die Aussicht auf das örtliche Schloss (Kultur! Endlich!) entschädigte
für einige der Unannehmlichkeiten. Doch das Schlimmste hatten wir
noch vor uns. Geschlaucht und müde mussten wir noch die Boote verladen.
Dies ist der Augenblick, der das genauso unausweichliche wie anstrengende
Ende einer Ruderwanderfahrt symbolisiert – außer für die bedauernswerten
Gruppenmitglieder, die der Tradition entsprechend vor der Heimkehr noch
die Boote am Maschsee abliefern mussten. Ja, im Laufe einer Woche kommt
man sich näher, und die althergebrachten Rollengrenzen verschwimmen
wie das Wasser zwischen dem Kleinen und Großen Pälitzsee oder
wie die Bierlachen in ländlichen Kneipen.
Robert
Lüddecke
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